Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fanden zahlreiche SS-Offiziere und Generäle der deutschen Wehrmacht unterschiedliche Wege, um ihre Karrieren fortzusetzen oder sich anderweitig zu etablieren. Einige von ihnen gelangten in einflussreiche Positionen in Geheimdiensten, Regierungen oder internationalen Organisationen. Dieser Artikel wirft einen Blick auf einige der bekanntesten Beispiele und beleuchtet ihre postkriegliche Laufbahn.
Reinhard Gehlen: Reinhard Gehlen, ein ehemaliger Generalmajor der Wehrmacht, gründete nach dem Krieg den „Gehlen-Apparat“, eine Geheimdienstorganisation, die später als Bundesnachrichtendienst (BND) bekannt wurde. Gehlen nutzte sein Wissen über die Sowjetunion und den Ostblock, um den BND zu einer wichtigen Institution im Kalten Krieg zu machen.
Otto Skorzeny:
Otto Skorzeny, ein hochrangiger SS-Offizier, erlangte Berühmtheit durch seine Beteiligung an spektakulären militärischen Operationen während des Krieges. Nach dem Krieg führte Skorzeny ein wechselvolles Leben. Er wurde kurzzeitig inhaftiert, entkam jedoch und arbeitete in den 1950er Jahren als Sicherheitsberater für verschiedene Regierungen, darunter Ägypten und Argentinien. (Schon wieder Argentinien? Spurensuche in Argentinien: Wohin Hitler niemals kam – DER SPIEGEL / Nazi-Schmuggel-U-Boot in Argentinien gefunden)
Walter Schellenberg:
Walter Schellenberg, ehemaliger Leiter der SS-Geheimdienstabteilung, arbeitete nach dem Krieg für den US-Geheimdienst CIA. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung ehemaliger SS-Offiziere für nachrichtendienstliche Aktivitäten im Kalten Krieg.
Klaus Barbie:
Klaus Barbie, auch bekannt als „Der Schlächter von Lyon„, war ein SS-Hauptsturmführer, der während des Krieges in Frankreich eine Schlüsselrolle bei der Verfolgung von Widerstandskämpfern spielte. Nach dem Krieg wurde Barbie von US-amerikanischen Geheimdiensten rekrutiert und arbeitete als Informant und Agent für sie.
Hans Globke:
Hans Globke war kein SS-Offizier, sondern ein sehr hoher Beamter im nationalsozialistischen Deutschland. Er spielte eine bedeutende Rolle bei der Ausarbeitung und Implementierung der Nürnberger Rassengesetze. Nach dem Krieg arbeitete Globke als Staatssekretär unter Bundeskanzler Konrad Adenauer und wurde eine Schlüsselfigur in der westdeutschen Regierung.
Paul Dickopf:
Paul Dickopf, ein ehemaliger SS-Untersturmführer, wurde nach dem Krieg ein hochrangiger Polizeibeamter in der Bundesrepublik Deutschland. Er war von 1965 bis 1971 Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) und spielte eine wichtige Rolle in der deutschen Strafverfolgung.
Reinhard Hardegen:
Reinhard Hardegen, ein erfolgreicher U-Boot-Kommandant der Kriegsmarine, wurde nach dem Krieg ein angesehener Geschäftsmann in Deutschland. Er gründete eine Reederei und war in verschiedenen Unternehmensbereichen tätig.
Wilhelm Mohnke:
Wilhelm Mohnke, ein SS-Brigadeführer, war während des Krieges ein enger Vertrauter von Adolf Hitler und kämpfte in vielen Schlachten. Nach dem Krieg betrieb er ein Bauunternehmen in Hamburg und war an der Organisation von Kriegsveteranen beteiligt.
Mengele, Müller, Huber: Nie gefasste NS-Kriegsverbrecher
Der SS General Franz Josef Huber lebte nach dem Krieg unbescholten in München. Recherchen des Politmagazins Kontrovers zeigen: Geheimdienste schützten ihn. Er ist nicht der einzige hochrangige NS-Kriegsverbrecher aus Bayern, der sich nie vor Gericht verantworten muss.
Der gebürtige Münchner SS General Franz Josef Huber zählte zu den wichtigsten Männern des NS-Terrorapparates. Der oberste Gestapo-Chef Nazi-Deutschlands, Heinrich Müller, war sein Duzfreund; der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, schätzte ihn und Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, förderte ihn. Kurz nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland wurde Huber im Frühjahr 1938 Chef der Wiener Gestapo, die mehr Mitarbeiter hatte als die Berliner Zentrale.
Der Münchner Historiker Michael Holzmann publizierte die erste Biographie über Huber. Er meint: „Er konnte über Leib und Leben der Menschen bestimmen, wie es ihm gefallen hat.“ Trotzdem gehört Huber zu jenen NS-Kriegsverbrechern, die nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen worden sind.
Wie 1945 verschwindet Huber wie andere bayerische NS-Verbrecher, darunter der Arzt Josef Mengele oder Gestapo-Chef Heinrich Müller von der Bildfläche. Mengele flieht über die sogenannte Rattenlinie nach Südamerika. Müller kommt, so der aktuelle Stand der Forschung, beim Kriegsende 1945 in Berlin ums Leben.
Franz Josef Huber – der Schattenmann
Und Huber? Von dem Schattenmann gibt es kaum ein Foto. Auch sein Todesdatum war nicht bekannt. Bislang unbekannte Unterlagen aus dem Archiv des Bundesnachrichtendienst (BND) und gemeinsame Recherchen der Politikmagazine Kontrovers und report München zeigen erstmals, wie der BND Huber anwarb, versorgte und sich um seine Absicherung kümmerte. Weithin unbekannt: Zuvor nahm ein US-Nachrichtendienst Huber, der über jede Menge Herrschaftswissen verfügte, unter seine Fittiche. Die Amerikaner verfassen für Huber einen Persilschein, den dieser bei seiner Entnazifizierung benutzt.
Die Jagd auf ein Phantom
Doch nicht Huber, sondern Heinrich Müller, der höchste Gestapo-Chef Nazi-Deutschlands, gerät Anfang der 1960er Jahre in das weltweite Visier von Fahndern und Nachrichtendiensten. Auch der israelische Auslandsdienst Mossad ist der Überzeugung, dass Müller noch am Leben ist. Eine tragische Fehleinschätzung. Am 2. November 1967 kommt es in München-Pasing zu einem mysteriösen Einbruch in die Wohnung der Frau von Heinrich Müller. Zwei israelische Staatsbürger werden auf frischer Tat ertappt und von der Polizei festgenommen. Recherchen von Kontrovers und report München zeigen jetzt: Es handelte sich um eine gescheiterte Mission des Mossad.
Der israelische Experte für die Geschichte der Nachrichtendienste, Shlomo Shpiro, fand einen viele Jahre lang unter Verschluss gehaltenen Bericht des Mossad, der dies belegt.
„Man hat versucht, seine Handschrift zu finden, vielleicht Briefe oder irgendwelche Kommunikation zwischen ihm und seiner Familie hier in Deutschland.“ Prof. Shlomo Shpiro, Bar-Ilan-Universität Israel
Nicht zur Verantwortung gezogen
Währenddessen lebt Franz Josef Huber nur eine halbe Fahrstunde entfernt in seiner Münchner Wohnung. Er wird sich nie für seine Taten verantworten müssen. Ebenso wie der mörderische Arzt Josef Mengele aus Schwaben. Huber stirbt im Januar 1975 in einem Krankenhausbett. Mengele kommt 1979 in Brasilien bei einem Badeunfall ums Leben.
Diese Liste ist keineswegs vollständig, da viele andere SS-Offiziere und Generäle nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedene Wege einschlugen. Einige zogen sich ins Privatleben zurück, andere wurden vor Gericht gestellt und verurteilt. Die genannten Beispiele verdeutlichen jedoch, dass einige ehemalige Nationalsozialisten in einflussreichen Positionen in verschiedenen Bereichen der Nachkriegsgesellschaft aktiv waren.
Quellen:
- Ambrose, S. E. (1997). The Good Fight: How World War II Was Won. Simon and Schuster.
- Breitman, R., & Goda, N. J. (Hrsg.). (2010). Hitler’s Shadow: Nazi War Criminals, U.S. Intelligence, and the Cold War. National Archives Experience.
- Dederichs, M. (2005). Geheimdienst ohne Maske: Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Ch. Links Verlag.
- Delpla, F. (2012). Klaus Barbie, un procès pour mémoire: Le rôle de la police lyonnaise dans la traque des juifs (2e éd.). Tallandier.
- Gerwarth, R. (2011). Hitler’s Hangman: The Life of Heydrich. Yale University Press.
- Heberer, P. (2002). Nationalsozialistische Planungen für eine Nachkriegsordnung. In Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945 (S. 309-331). Deutsche Verlags-Anstalt.
- Hussey, A. (2000). The OSS in World War II Albania: Covert Operations and Collaboration with Communist Partisans. McFarland.
- Klessmann, C. (2011). Die doppelte Staatsgründung: Deutsche Geschichte 1945-1955. Wallstein Verlag.
- Niewyk, D. L. (2000). The Columbia Guide to the Holocaust. Columbia University Press.
- Weale, A. (2010). The SS: A New History. Little, Brown Book Group.
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